ENVIRONMENTAL HISTORY CLUSTER AUSTRIA
Okt
18

Anna-Katharina Wöbse: Umwelt- und Geschlechtergeschichte in Europa und Österreich

Am 20.4.2021 konnte EHCA im Rahmen der Dissertant*innen-Tagung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte die renommierte Umwelthistorikerin Anna-Katharina Wöbse (Universität Gießen) für eine Keynote zum Thema „The place of gender in contemporary Austrian and European environmental history“ gewinnen. Der Vortrag war zugleich Teil der „Environmental History Week 2021“. Hier als Einladung zum Weiterdenken und Diskutieren eine deutschsprachige Kurzfassung des Vortrags. Viel Spaß bei der Lektüre!


Dr. Anna-Katharina Wöbse (Universität Gießen): Umwelt- und Geschlechtergeschichte in Europa und Österreich

Umwelt und Geschlecht haben sich in der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten zu wichtigen Kategorien der Forschung entwickelt, die neue Perspektiven in die historischen Erzählungen der Entwicklung menschlicher Gesellschaften einspeisen. Ihr Zusammenspiel ist allerdings noch wenig vertieft worden. Hier sollen in aller Kürze einige Schlaglichter auf das Potenzial des Zusammengehens beider geschichtswissenschaftlicher Richtungen geworfen und mit Beispielen aus dem europäischen und österreichischen Forschungsfeld konkretisiert werden.

 

Beide Forschungsfelder besitzen starke historische Verbindungen zu den neuen sozialen Bewegungen und haben sich, nicht zuletzt durch Impulse aus den nordamerikanischen Geschichtswissenschaften, seit den 1970er entwickelt und in den 1980er und 1990er Jahren allmählich konsolidiert. Die Überschneidungen zwischen den Feldern blieben allerdings zunächst spärlich. Erst 1990 stieß die US-amerikanische Umwelthistorikerin Carolyn Merchant eine größere Debatte zur Einbeziehung weiblicher Perspektiven in die Umweltgeschichte an. Die Umweltgeschichte müsse ihre Perspektiven um die Gender-Dimension erweitern, nicht nur um einen ausgewogeneren Blick auf die Geschichte der Mensch-Natur Beziehungen werfen zu können, sondern sich auch theoretisch weiterzuentwickeln. Die Kategorie sowohl des sozial konstruierten Geschlechtes, das auf binären Unterscheidungen basiert, spielt demnach als grundlegendes Element in sozialen Beziehungen eine für die Geschichtswissenschaften zentrale Rolle – und selbstverständlich bildet sich das auch in den Mensch-Natur Verhältnissen ab. Das Zusammenspiel von Gender- und Umweltgeschichte ermöglicht also folglich eine deutlich differenziertere, vielgestaltigere und vollständigere Analyse entsprechender Machtverhältnisse der Vergangenheit.

 

Ein Feld, auf dem die Kategorie Gender schon verhältnismäßig früh berücksichtigt wurde, ist die Geschichte der Natur- und Umweltschutzbewegung in Nordeuropa und Europa. Gerade beim Übergang von elitären Netzwerken hin zu einer öffentlichkeitswirksameren sozialen Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts spielten Frauen beispielsweise im Tier- und Naturschutz eine zentrale Rolle. Die weibliche Einflussnahme war durch breitenwirksame Kampagnen und Allianzen ausschlaggebend für die Entstehung einer auch politisch relevanten Bewegung. Einerseits schien dieses Engagement mit der bürgerlichen Beschränkung auf die häusliche Sphäre vereinbar. Andererseits koppelte sich das Engagement auch mit einem neu postulierten Mitsprache- und Verantwortungsanspruch. Besonders im Tierschutz wurden hier starke Koalitionen zwischen verschiedenen emanzipatorischen Programmen entwickelt, die nicht zuletzt die (männliche) Verfügungsgewalt über Natur und Gewalttätigkeit thematisierten. Aus diesen Beobachtungen resultieren gleichzeitig noch unbeantwortete Fragen an das Geschlechterverhältnis in der Natur- und Umweltschutzbewegung. Wo wurden diese emanzipatorischen Ansprüche untergraben und hintertrieben, welchen Zugang hatten Frauen eigentlich zu Expertenzirkeln, die im 20. Jahrhundert den Deutungsanspruch auf Mensch-Natur-Verhältnis erhoben, wo wurden Frauen durch praktische und ideologische Hindernisse von Debatten ferngehalten? Wie frei konnten sich Frauen jenseits den ihnen zugewiesenen Sphären überhaupt in der zu schützenden Natur und dem Feld der Wissenschaft bewegen, um an Diskursen teilzuhaben? Welche Zugänge zu Veröffentlichung und Verlautbarungen hatten Frauen, wo wurden sie aktiv ausgeschlossen? Und welche Rückschlüsse ergeben sich daraus an Männlichkeitsideale in Bezug auf den Umgang mit Natur, die bis heute fortwirken? Solche Fragen berühren nicht nur diskursive sondern auch physische Räume. In der österreichischen Umweltgeschichte sind beispielweise die Alpen sowohl als Erlebnis- als auch als Nutzungsareal ein markanter Ort solcher geschlechterbasierten Aushandlungen, die in jüngerer Zeit mit einem genderorientierten Blick neu vermessen werden. Im Grunde genommen wird jede umwelthistorische Untersuchung, die ihren Gegenstand um die Gender-Dimension erweitert, eine erkenntnisreiche Differenzierung erfahren, weil Geschlechterkonstruktionen auch dazu geführt haben, dass oft nur eindimensionale Narrative überliefert sind. Bei genauerer Betrachtung werden ganz neue Befunde über Autonomien und Handlungsräume aufzeigt werden können.

 

Hinsichtlich der umwelthistorischen Analyse von traditioneller Wirtschafts- und Technikgeschichte ermöglicht eine interdisziplinäre Herangehensweise zudem ein deutlich differenziertes Verständnis globaler Verwobenheiten. Die Maschinisierung der Landwirtschaft wirkte sich unterschiedlich auf die Geschlechter aus und veränderte Arbeitsteilungen und Zuständigkeiten. Der Zustrom von ausländischem Geld zum Wiederaufbau, Mobilisierung und die Entstehung großtechnischer Infrastrukturen wirkte sich massiv und zugleich sehr unterschiedlich auf die Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern im Alpenraum aus. Stoffwechselströme beschleunigten und änderten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Geschlechter. Wie Veichtlbauer und Schmidt am Beispiel eines scheinbar banalen Produktes, der Einwegwindel, eindrücklich gezeigt haben, entlastete dieser Artikel die Mütter – bürdete ihnen aber zugleich angesichts wachsender Müllberge die Verantwortung eines neuen Müllproblems auf, das sich sogar in einem „Ökostress“ äußerte. Solche Verflechtungen von Rollenstereotypen und Umweltkrisen sind auch auf anderen Feldern ökologischer Problemstellungen vorhanden– Nutzung, Ausbeutung und Wiederherstellung von Ressourcen haben eine Genderdimension, die bisher noch weithin ignoriert wird.

 

Insgesamt handelt sich bei einer genderorientierten Umweltgeschichte weniger darum spezifische Frauen- oder Männergeschichte zu schreiben, auch wenn es dringend angezeigt ist, weibliche Handlungsfelder und –optionen überhaupt freizulegen und aus der Unsichtbarkeit zu befreien. Vielmehr blickt sie auf die Art und Weise, wie Machtverhältnisse und genderbasierte Unterschiede durch Sprache, durch die Zweiteilung von Einflusssphären, durch Zugangs- und Nutzungsregeln und durch eine Reihe sozialer Verhaltensnormen hergestellt wurden. Dieser Anspruch reicht weit über Diskurse hinaus und umfasst auch materielle Verhältnisse und Nutzungstraditionen. Gender- und Umweltgeschichte können in diesem Zusammenhang von der Bandbreite ihrer theoretischen Zugriffe immens profitieren. Das Konzept der Intersektionalität bietet hier einen wesentlichen Schlüssel für historische Perspektiven, in denen Klasse, Geschlecht und Ethnizität in einen Zusammenhang gebracht werden. Die Einordnung dieser Intersektionalität in globale Kontexte zeigt darüber hinaus, in welchem Ausmaß Umweltfragen und -debatten heute aufs Engste mit Fragen von Diversität, Teilhabe und Gerechtigkeit verbunden sind. Beide Disziplinen haben sich in jüngerer Zeit diesen perspektivischen Erweiterungen gestellt. Die Umweltgeschichte versteht sich zunehmend als Teil der Environmental Humanities. Die Frauengeschichte hat ihren Radius ebenfalls erheblich erweitert: die aktuelle Gendergeschichte spiegelt diesen integrativen Anspruch deutlich wider. Historische Analyse wird fortgesetzt neu konfiguriert – die Erweiterung der umwelthistorischen Praxis um die Kategorie Gender sollte wesentlicher Teil dieser theoretischen und methodischen Weiterentwicklung sein – sie ist unerlässlich für das Schreiben einer inklusiven und kritischen Umweltgeschichte.

 

Literatur:

Tessa Boase, Mrs Pankhurst’s Purple Feather: Fashion, Fury and Feminism – Women’s Fight for Change. Aurum Press, 2018.

Carolyn Merchant, „Gender and Environmental History“, The Journal of American History, 76(4) 1990, S. 1117–1121.

Melissa Leach and Cathy Green. „Gender and Environmental History: From Representation of Women and Nature to Gender Analysis of Ecology and Politics“,  Environment and History, 3(3) 1997, S. 343–370.

Martin Schmid und Ortrun Veichtlbauer, Vom Naturschutz zur Ökologiebewegung: Umweltgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik. Wien 2006.

Nancy Unger, “Women and Gender: Useful Categories of Analysis in Environmental History,” Oxford Handbook of Environmental History, Andrew Isenberg, ed., Oxford University Press, 2014, S. 600-643.